Maike
Ich wusste lange Zeit nicht: WIE fange ich meine Mutmachgeschichte eigentlich an. Denn schließlich muss ich ein kleines bisschen ausholen damit man die Zusammenhänge versteht.
Erst einmal ein bisschen persönlicher Kleinkram: Ich bin Maike, 43 Jahre jung (2021), Mama, Ehefrau, Oma, Dosenöffner, krankheitsbedingt nun Rentnerin und komme aus dem schönen Meldorf.
Ich bin eine Überlebende – ich hatte Krebs. Blasenkrebs. Einen Krebs den fast nur Männer bekommen, und wenn es auch Frauen betrifft, dann meist aber schon Ü 70 und älter.
Im Alter von 39 Jahren bekam ich morgens auf der Arbeit einen Herzinfarkt. So blöd es vielleicht klingen mag, dieser hat mich zwar böse geschockt, aber mir im Nachhinein das Leben gerettet. Im ersten Jahr nach einem Infarkt bekommt man hochdosierten Blutverdünner.
Und HIER kommen wir nun zu meiner Krebsdiagnose.
Anfangs trat es nur bei Belastung auf.
Immer wiederkehrende Blutungen. Man schob es auf den Blutverdünner. Die Ärzte sagten mir dass dies wohl durch den Druck auf die Blase käme, da könnte schon mal eine Ader platzen und durch die Blutverdünner zu verstärkten Blutungen führen.
Nach ein paar Wochen fingen diese Blutungen aber auch ohne Belastung an. Einfach so, beim gemütlichen Kaffee trinken, im Schlaf, beim Lesen…sie wurden immer öfter…immer intensiver.
Eines morgens wachte ich auf und konnte nicht mehr zur Toilette gehen und Wasser lassen. Heftige Schmerzen kamen hinzu.
Ich rief bei meiner Hausärztin an, sie vermuteten eine heftige Blasenentzündung und ich sollte sofort in die Praxis kommen. Dort angekommen sollte ich Urin abgeben. Was aber so absolut gar nicht mehr ging. Nur unter großer Anstrengung gelang es mir ein klein wenig aus der Blase zu pressen. Aber das war schieres Blut. Keine 5 Minuten später erhielt ich eine Überweisung und fand mich in der Notaufnahme der Urologie in Brunsbüttel wieder.
Der dortige Arzt war sehr freundlich, schnell und doch gründlich. Er machte einen Ultraschall und sah dass meine Blase randvoll mit geronnenem Blut war. Durch diesen Blutstau haben sich auch etliche Pfropfen gebildet die letztlich die Blase verstopften.
Da das Krankenhaus völlig ausgelastet war, schrieb der Arzt mir eine Überweisung für die Urologie in einem anderen Krankenhaus.
Also heim, Tasche packen, und ab ins andere Krankenhaus. Mittlerweile hatte ich das Gefühl zu zerplatzen. Warum auch immer löste sich daheim während dem Kofferpacken wohl der größte Pfropfen in der Blase und ich konnte endlich Wasser lassen. Mein Gott….nie wieder werde ich dieses befreiende Gefühl vergessen. Immerhin eine Nacht, und einen Vormittag konnte ich nicht mehr richtig zur Toilette gehen.
Trotzdem ich wieder zur Toiletten konnte, und auch kein Blut mehr aus der Blase kam, fuhren wir nach Itzehoe ins Krankenhaus. Ich stellte mich der Urologie vor und wurde von einem Arzt untersucht. Er schaute sehr gründlich nach und sah erst einmal keine Veranlassung mich da zu behalten. Aber er riet mir mich umgehend einem Urologen daheim vorzustellen, er sähe etwas in der Blase was da nicht hingehört und auch keinesfalls noch ein Blutpfropfen wäre.
Tatsächlich bekam ich nur 3 Tage später schon einen Termin beim Urologen in Heide. Auch er bestätige dies nochmals und bestellte mich zur Blasenspiegelung. Dieser erfolgte leider erst 5 Wochen später. Ich weiß noch wie ich beim ersten Termin sah, das unterhalb der Blase am Rand eine kleine Ausbuchtung zu sehen war. Vielleicht, so sagte der Urologe, hätte ich Glück und es wäre nur ein Divertikel.
5 Wochen später beim nochmaligen Ultraschall sah man nichts mehr von der Blase, sie war voll mit weißem Gewebe. Die anschließende Spiegelung musste er dann wegen Schmerzen abbrechen. Und dann ging alles Schlag auf Schlag. Ich hörte noch wie er zu seiner Angestellten sagte es wäre breitflächig. Dann nahm er mir noch Blut ab und ich sollte im Arztzimmer auf ihn warten.
Was dann passierte sollte wohl mein Leben verändern.
Der Arzt nahm mich in den Arm, und sagte dass es nach ziemlich üblem breitflächigem Blasenkrebs aussähe. Genaueres könnte natürlich erst das Ausschaben der Blase sagen, aber er sei sich ziemlich sicher ! Und er sollte recht behalten.
Zwei Wochen später fand dann die TUR-B statt. Ausschaben der Blase und einschicken des entnommenen Gewebes in die Pathologie nach Hamburg.
Zehn Tage später erhielt ich das Ergebnis. PT2a-G3. Muskel invasiver bösartiger und schnell wachsender Blasenkrebs.
Alles was ich von dem Gespräch noch weiß sind einzelne Wortfetzen, denn in diesem Moment habe ich komplett abgeschaltet. Schreien ? Weinen ? Wütend sein ? Ich weiß nicht mehr welche Emotionen in mir vorgingen. Mein Mann hat sich dann mit dem Arzt unterhalten. Ich weiß noch dass ich die Worte „alles muss raus“ wahrnahm. Und mit alles…meinten sie alles !
Ich weiß auch noch dass meine erste Reaktion auf der Straße, nachdem wir die Praxis verließen, war: „Ich gehe auf keine Freak Reha ohne Haare und wo alle todkrank aussehen“. Noch heute schäme ich mich für diese Worte, aber es war meine erste Reaktion…warum auch immer.
Nun ja, wir machten einen erneuten Termin mit Itzehoe aus. Operationsvorgespräch, Narkosegespräch…etc. Was eben so anliegt. Bis zum eigentlichen Operationstermin schaffte ich es aber nicht mehr, denn wieder kam es zum erneuten Blasenverschluss und diesmal musste die Blase mit einem Katheter entleert werden. Kaum wieder daheim passierte es erneut, und ich landete wieder im Krankenhaus und somit wurde die Operation kurzerhand ein paar Tage vorverlegt.
Im Zuge dieser Operation wurde mir die Blase, der Blinddarm, meine Harnleiter, die Gebärmutter und Eierstöcke, 23 Lymphknoten, und 30cm Darm entnommen. 9 Stunden haben die Ärzte ihr Bestes gegeben. Und gewonnen ! Aus dem Darm erstellte man eine Ableitung die aus der Bauchdecke wieder heraus kommt. Seitdem bin ich Stomaträgerin.
Alle entnommenen Organe und Lymphknoten wurden ebenfalls nach Hamburg ins Labor geschickt. Wieder banges Warten. Ich hatte gerade die Intensivstation verlassen, als der Chefarzt persönlich in mein Zimmer kam, und mir die freudige Botschaft überbrachte dass alle Organe ohne Metastasen seien! Das hieß also krebsfrei!!! Keine Chemotherapie! Keine weitere Behandlung notwendig. Der Krebs war „nur“ in der Blase!
Nach einigen Komplikationen, unter anderem eine Sepsis im Bauchraum, Entzündungen, Wundheilstörung, Fieber, schlechten Blutwerten und körperlich total in Eimer, konnte ich trotzdem nach sieben langen Wochen endlich das Krankenhaus verlassen. Angedacht waren ursprünglich eigentlich zwischen 2-3 Wochen.
Dafür durfte ich dann aber in Heimatnähe zur Reha fahren. Ich war schon in vielen Reha Einrichtungen, aber keine hat mich so beeindruckt wie diese onkologische Reha. Ich durfte nach Schloss Schönhagen an die Ostsee. Vom Putzpersonal bis hin zu den Ärzten war man unglaublich lieb zu uns Patienten, mitfühlend, einfühlsam, aufbauend und einfach warmherzig. Auch die Patienten untereinander waren lieb, hilfsbereit, freundlich und man fühlte sich einfach wie ein Teil eines großen Miteinanders. Die vier Wochen gingen viel zu schnell vorbei, ich fand liebe Leidensgenossen, und habe zu einigen auch heute noch Kontakt. Was ich allerdings nicht fand: Krebspatienten mit Blasenkrebs. Da stand ich irgendwie völlig alleine damit da.
Anfangs machte mir dieser „neue“ Körper wirklich große Probleme. Ich fand mich schmutzig, hatte das Gefühl immer nach Urin zu riechen, und hatte ständig das Gefühl dass andere sehen, dass ich eben nicht mehr komplett bin. Zudem spielten meine Hormone verrückt und ich kam über Nacht in die vollen Wechseljahre. Die ersten Wochen nach der Operation empfand ich eigentlich nur Ekel vor meinem eigenen Körper. Stoma Wechsel muss man erlernen. Dafür kam eine speziell geschulte Pflegeschwester zu mir und half mir dabei. Die ersten Male wo ich es selber wechseln sollte, wollte ich mich beinahe übergeben. Ich kam einfach so gar nicht damit zurecht nun ein nässendes, hässliches Loch im Bauch zu haben.
Wenn eine Bettpanne passierte, oder mir der Beutel am Tage platzte, dann schämte ich mich den ganzen Tag dafür. Dabei war es eigentlich völlig normal. Mittlerweile weiß ich dass es vielen Stoma Patienten zu Anfang so ergeht. Dann klebt mal das Stoma nicht richtig, oder man verpasst es rechtzeitig zu wechseln, oder Urin unterläuft den Kleberand. All das ist normal am Anfang. Aber man lernt mit der Zeit damit umzugehen. Man lernt sich damit zu bewegen, sich angepasst zu kleiden, damit zu schlafen, sogar schwimmen gehe ich mittlerweile damit, obwohl ich anfangs immer dachte nie wieder in einen Badeanzug zu steigen. Pannen passieren ab und an, aber das ist so selten. Und ich habe mir angewöhnt immer Wechselkleidung und Wechselstoma dabei zu haben.
Das Stoma und ich sind „Freunde“ geworden. Fridolin habe ich es getauft. Es erleichtert mir den Umgang damit. Es ist halt einfach ein Teil von mir der mich heute gar nicht mehr groß stört und den ich wie einen Arm oder ein Bein oder meinen Kopf akzeptieren kann. Immerhin hat Fridolin mir das Leben gerettet, ohne diese Option gäbe es mich heute nicht mehr.
Alles in allem war es eine schwere Zeit. Von der Diagnose übers Verarbeiten bis hin zur Akzeptanz der Krankheit. Ich habe meinen Beruf verloren und einen Teil meiner körperlichen Selbstständigkeit eingebüßt. Vieles ist anders, denn durch die Entnahme der vielen Lymphknoten ist mir ein Lymphödem, mittlerweile Stadium III, entstanden. Lange habe ich damit gehadert, mittlerweile geht es etwas besser mit der Akzeptanz. Ich habe mir eine Psychoonkologin gesucht, liebe Menschen in meinem Umfeld die mich so akzeptieren wie ich bin, meine kleine HundeseelentrösterinundbesteFreundin, meine Familie und wahnsinnig viel Rückhalt und Unterstützung in allen Lebenslagen von meinem Umfeld. Mein Leben ist nun anders, aber nicht unbedingt schlechter.
Das Wichtigste ist einfach : Und ich liebe mein Leben wieder ! Ich bin dankbar für die Möglichkeiten die unsere heutige Medizin bietet. Krebs muss nicht zwangsläufig das Ende bedeuten.
ICH LEBE !